Im Gespräch: Dr. Ndidi Nnoli-Edozien über eine afrikanisch-europäische Perspektive zu CSR, Nachhaltigkeit und wirkungs-orientierten Investments

 „Wenn die Nachhaltigkeitskriterien nur von europäischer Seite bewertet werden, dann klammern wir einen Großteil der Welt einfach aus.“

Dr. Ndidi Nnoli-Edozien hat zu der Frage promoviert, wie die ethisch-ökologischen Kriterien aus dem Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden auf andere Kontinente übertragen werden können. Im Gespräch mit CRIC erzählt sie, wie sie dieses Wissen in den letzten Jahrzehnten in vielfacher Weise praktisch umgesetzt hat. Die Nigerianerin wird den Einführungsvortrag zur CRIC-Konferenz Nachhaltiges Investieren in Afrika beisteuern und sich außerdem als Panelistin und Moderatorin eines Börsen-Ministerium-Gesprächs einbringen.

Im Gespräch: Dr. Ndidi Nnoli-Edozien über eine afrikanisch-europäische Perspektive zu CSR, Nachhaltigkeit und wirkungs-orientierten Investments   CRIC: Du bist nun schon seit 2005 Mitglied bei CRIC. Was hat dich dazu bewegt, Mitglied zu werden und zu bleiben?

Dr. Ndidi Nnoli-Edozien: Ich habe Anfang der 2000er-Jahre in Frankfurt promoviert und mich in meiner Doktorarbeit mit ethisch-ökologischen Ratings und einem Fokus auf Kultur befasst. Basierend auf dem Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden wollte ich als Nigerianerin und Afrikanerin aufzeigen, wie sich diese ethisch-ökologischen Kriterien auch auf anderen Kontinenten einsetzen lassen. Ich wollte einen Beitrag zur besseren Verwaltung unserer Ressourcen, für mehr Nachhaltigkeit und das Wohlergehen unseres Planeten leisten.

Während meiner Zeit als Doktorandin habe ich ein paar CRIC-Symposien und Kolloquien besucht. Und die Themen, die wir damals besprochen haben, sind heute noch wichtiger als jemals zuvor und finden mehr und mehr Zugang in den Mainstream.

Ein zentrales Thema meiner Doktorarbeit war ein entscheidender kultureller Unterschied zwischen Europa und Afrika: In Europa steht das Individuum im Zentrum, in Afrika das Kollektiv. Ich denke, dass das für unsere Welt sehr wichtig ist und dass dieses Wir-Denken in die europäische Art zu Wirtschaften Einzug finden muss. Wir werden oft von unserem eigenen Glauben und unserem Verständnis des Wirtschaftssystems geblendet.

„Wir leben in einer sehr spannenden Zeit mit der Möglichkeit, grundsätzliche Veränderungen voranzutreiben.“

Eine wahre Partnerschaft zwischen Europa und Afrika muss auf gleicher Augenhöhe stattfinden. Wir müssen versuchen, einander besser zu verstehen. Die EU spricht momentan von einem „gerechten Übergang“ in Afrika. Der Umweltschutz, aber auch soziale und ökonomische Faktoren müssen dafür berücksichtigt werden. Das hat sehr große Auswirkungen auf Investments und Impact Investing. CRIC leistet dazu einen Beitrag, indem es einen Raum für produktive Diskussionen um Wirkungen von Investitionen schafft.

Im Hinblick auf die CRIC-Konferenz am 22. und 23. November, wo wir die Verbindung zwischen Europa und Afrika diskutieren, ist es sehr wichtig, dass ein gegenseitiges Vertrauen besteht. Zudem müssen Mitglieder offen sein, zu lernen, zu wachsen und Dinge zu ändern – nicht nur peripher, sondern wirklich grundsätzlich. Wir leben in einer sehr spannenden Zeit mit der Möglichkeit, grundsätzliche Veränderungen voranzutreiben. Und da spielt eine Organisation wie CRIC eine sehr wichtige Rolle, um diesen Dialog mitzugestalten und eine Stimme für eine offenere, kulturbewusste und gerechtigkeitsorientierte Welt zu sein.

 

CRIC: Welche konkreten Chancen und Probleme siehst Du in Bezug auf die Beziehungen zwischen Europa und Afrika und das Investitionsverhältnis?

Dr. Ndidi Nnoli-Edozien: Wir können die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen auf dem afrikanischen Kontinent nur erreichen, wenn wir es schaffen, grundsätzliche Veränderungen anzustoßen. In Afrika leben über eine Milliarde, zum Großteil sehr junge Menschen. Diese vielen jungen Menschen sind reich an unternehmerischem Potential und kreativen Ideen. Wenn dieses Potential nicht genutzt wird, dann kann das in einem Desaster enden. Auf der anderen Seite entsteht dadurch aber auch eine riesengroße Chance für den Kontinent.

Ich habe zehn Jahre lang bei der Nigerian Communications Commission gearbeitet. Als ich dort anfing, hatten wir 400.000 Festnetz-Anschlüsse über mehr als zwei Jahrzehnte aufgebaut. Und dann kam die Mobiltelefonie und wir haben innerhalb eines Jahrzehntes 80 Millionen Menschen miteinander verbunden. Inzwischen sind es 120 Millionen oder sogar mehr. Das ist ein riesengroßer Fortschritt und in Bezug auf mobiles Bezahlen ist Nigeria Deutschland heute sogar weit voraus.

Das sind Fortschritte, die es den Menschen ermöglichen, sich mehr zu beteiligen und sich unternehmerisch zu betätigen. Und jetzt kommen Blockchain und dezentralisierte Finanzmärkte ins Spiel, wo wir anfangen, eine ganz neue Situation zu schaffen. Wenn ich zum Beispiel ein Unternehmen in Lagos finanzieren möchte, dann kann ich mithilfe von Blockchain direkt einen Vertrag mit diesem Unternehmen eingehen. Das funktioniert, ohne dass durch eine NGO oder eine Bank wie bisher ein Großteil der Finanzierung abgeschöpft wird. Das ist meines Erachtens die nächste Phase, in der wir sehr viel effizienter und sehr viel menschlicher mit Ressourcen umgehen können. 

„Diese vielen jungen Menschen sind reich an unternehmerischem Potential und kreativen Ideen.“

Immer noch besitzen etwa 20 Prozent der Menschheit etwa 80 Prozent des weltweiten Kapitals. Das ist ein Problem, da dies in einem mangelnden Zugang der ärmeren Mehrheit zu Kapital begründet ist. Wir können keine nachhaltige Welt erschaffen, wenn dieses Ungleichgewicht weiter besteht. Daher müssen wir von Grund auf neu und anders denken. Und da kommt die Kultur ins Spiel – die Denkweise.

Wie denken die Menschen? Wie denken Gemeinschaften nicht als Individuen, sondern als Kollektiv? Und darüber kommen wir zum Thema Governance. Mit Governance kommt Vertrauen, mit Governance kommt die Ethik und mit Governance kommt eine Denkweise, die Nachhaltigkeit und Wirkung auf der sozialen, der ökonomischen und der ökologischen Ebene einbezieht.

Dabei ist es wichtig, auf die authentischen Kulturen, Möglichkeiten und Stärken der Menschen in verschiedenen Regionen der Welt zu setzen und diese weiterzuentwickeln. Es gibt alte und bewährte Praktiken auf dem afrikanischen Kontinent, die durchaus global angewendet werden können. Daraus müssen nachhaltige, wirtschaftliche Modelle, Unternehmen und Governance-Systeme entstehen, in denen der Mensch im Mittelpunkt steht. Um das zu erreichen, müssen wir mehr investieren. Und die Kriterien dafür dürfen nicht nur profit- und effizienzbezogen sein, sondern sollten Kultur, Kulturbewusstsein und Nachhaltigkeit mindestens genauso stark berücksichtigen.

 

CRIC: Von 2017 bis 2020 hast du bei Dangote, einem großen nigerianischen Mischkonzern, als Chief Sustainability and Governance Officer gearbeitet. Wie kann man sich die Arbeit dort vorstellen, was hat sich seitdem dort verändert und können diese Veränderungen messbar gemacht werden?

Dr. Ndidi Nnoli-Edozien: Was man nicht messen kann, kann man nicht ändern. Und dann kann man auch nichts bewirken. Aber auf der anderen Seite – wie misst man Frieden oder wie misst man Liebe? Es gibt bestimmte Aspekte, insbesondere Werte, die man nicht messen kann. Die muss man immer einbeziehen und da komme ich wieder auf das Thema Kultur, das auch im Mittelpunkt des Frankfurt-Hohenheimer Leitfadens steht.

Meine Doktorarbeit, die ich 2006 beendet habe, beschäftigte sich mit der Frage, wie ich den Frankfurter-Hohenheimer Leitfaden so weiterentwickle, dass man ihn auch in Afrika anwenden kann. Und zwar so, dass er für uns wirkt, dass wir unseren eigenen Weg zur Nachhaltigkeit gehen können und letztendlich auch, dass ein ESG-Rating auch für ein afrikanisches Unternehmen passend ist.

Wenn man mit den ESG-Rating-Entwicklern über Afrika spricht, dann sagen sie oft, dass das Risiko, dort zu investieren nicht richtig eingeschätzt werden kann. Das liegt darin begründet, dass sie den Kontinent und die einzelnen Länder nicht richtig verstehen, dass da eine kulturelle Blindheit besteht. Da sie nicht ausschließen können, dass ein Risiko besteht, gehen sie davon aus, dass eines besteht. Da muss ein gewisses kulturelles Verständnis hergestellt werden. Heutzutage wird das aufgrund der EU-Taxonomie und der zunehmenden Bedeutung von Nachhaltigkeit im Finanzsystem umso wichtiger.

Wenn die Nachhaltigkeitskriterien nur von europäischer Seite bewertet werden, dann klammern wir einen Großteil der Welt einfach aus. Und das ist ein riesengroßes Problem.

„Das Angebot von Dangote bot mir aber die Gelegenheit, mich nicht mehr nur theoretisch mit meinem Forschungsbereich auseinanderzusetzen, sondern ganz praktisch am Umbau eines der größten afrikanischen Unternehmen mitzuwirken.“

Es war eine große Ehre für mich, den Job bei Dangote anzunehmen. Ich habe damals bei der Lagos Business School, also im akademischen Bereich, gearbeitet und mich mit Wirtschaftsethik, Social Entrepreneurship und Nachhaltigkeit beschäftigt. Mit dieser Arbeit war ich sehr zufrieden. Das Angebot von Dangote bot mir aber die Gelegenheit, mich nicht mehr nur theoretisch mit meinem Forschungsbereich auseinanderzusetzen, sondern ganz praktisch am Umbau eines der größten afrikanischen Unternehmen mitzuwirken.

Dangote hatte bereits ein Jahr vor der erstmaligen Einführung bindender Nachhaltigkeitsrichtlinien im Jahr 2019 seinen ersten Nachhaltigkeits-Report an der nigerianischen Börse veröffentlicht. Wir haben zudem versucht, eine Nachhaltigkeitskultur innerhalb des Unternehmens aufzubauen, die verschiedene Standards wie die die UN-Nachhaltigkeitsziele, den UN Global Compact oder die IFC Performance Standards einbezieht.

Diese Nachhaltigkeitskultur wurde nicht nur auf der Vorstandsebene, sondern bis zur Rezeption oder bis zum Wachschutz akzeptiert und gelebt. Wir wollten sicher sein, dass auf der einen Seite ein grundsätzliches Verständnis besteht: Warum machen wir das? Warum ist Nachhaltigkeit wichtig? Was heißt Nachhaltigkeit in unserer Organisation? Und auf der anderen Seite die Fragen beantwortet werden können: Wie messen wir das? Was werden wir als Indikatoren akzeptieren? Was sind unsere Leistungskennzahlen? Und da müssen wir ganz ehrlich auftreten und erklären, was wir geschafft und was wir noch nicht geschafft haben. Woran wir arbeiten und was wir noch vorhaben.

Und gleichzeitig müssen wir innerhalb der Organisation auch einen Fahrplan haben und uns sagen: Ja, wir wollen profitabel bleiben – das müssen wir als Unternehmen. Aber wir wollen auch Faktoren einbeziehen, die global und lokal wirken.

„Diese Nachhaltigkeitskultur wurde nicht nur auf der Vorstandsebene, sondern bis zur Rezeption oder bis zum Wachschutz akzeptiert und gelebt.“

Die Berichte und die Nachhaltigkeitskultur wurden auf der SevenPillars-Methode aufgebaut. Diese Methode war das Ergebnis meiner Doktorarbeit. Wie können wir die drei Säulen des Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden in Afrika anwenden? Und da war die Antwort: Wir brauchen sieben Säulen. Im Mittelpunkt steht Kultur (1), genau wie beim Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden, aber natürlich die lokale afrikanische Kultur. Drei weitere Säulen sind das Ökologische (2), das Ökonomische (3) und das Soziale (4).

Wir haben das Soziale und das Ökonomische getrennt, weil oft, etwa in Nigeria, das Unternehmensrating unabhängig vom Rating des Landes ist. Es ist sehr wichtig, dass man auch über das ökonomische Verhalten und die ökonomische Nachhaltigkeit des Landes nachdenkt. Natürlich ist das Soziale das Umfeld, der Mensch.

Zu den anderen Faktoren, die man üblicherweise nicht im Nachhaltigkeitsdenken findet, die aber bei Dangote sehr wichtig waren, zählt das Finanzielle (5). Wenn die Finanzmenschen nicht verstehen, wie wichtig es ist, eine ökologische, soziale und wirtschaftliche Wirkung zu erzielen und auch, dass man dazu eine bestimmte Kultur aufbauen muss, dann hat man keine Verbündeten im System. Der Dialog innerhalb der Firma bezüglich Profit- und Wirkungsorientierung ist sehr wichtig.

„Der Dialog zwischen öffentlichem und privatem Sektor sowie der Zivilgesellschaft essenziell.“

Auch das Operationelle (6) war sehr wichtig. Oft sorgen sich insbesondere große Unternehmen über ihre eigene Nachhaltigkeit. Dabei vergessen sie, dass da auch eine Lieferkette und eine Wertschöpfungskette ist. Und das sind oft kleinere Unternehmen. Und für diese ist die Nachhaltigkeitskultur und Berichterstattung viel komplizierter. Daher können große Unternehmen eine riesengroße Rolle spielen, indem sie in ihrer ganzen Liefer- und Wertschöpfungskette versuchen, nachhaltiger zu agieren.

Eine weitere Säule ist die institutionelle Nachhaltigkeit (7). Und da sind drei Komponenten drunter. Die erste ist Risikomanagement. Was ist die Verbindung zwischen Risiko und Nachhaltigkeit? Und wie kann man diese beiden Faktoren miteinander verbinden? Die zweite Komponente ist Compliance: Es gibt immer Regulierungen und Beschränkungen, mit denen man klarkommen muss, aber man muss auch in die Debatte einsteigen. Es ist insbesondere in Afrika oft der Fall, dass die Regierungen und die Unternehmen da sehr weit voneinander entfernt sind. Und dass Regierungen eher bereit sind, sich an Europa zu orientieren, bevor die Unternehmen so weit sind. Der Dialog zwischen öffentlichem und privatem Sektor sowie der Zivilgesellschaft ist essenziell. Auf der einen Seite um sicher zu gehen, dass man auch wirklich Regulierungen und Gesetzen gerecht bleibt, aber auf der anderen Seite, dass diese Gesetze auch dem Unternehmen gerecht bleiben. Diese Balance ist von großer Bedeutung. Und die letzte Komponente, die ich für ganz besonders wichtig halte, ist Governance.

 

CRIC: Du setzt Dich im Rahmen der Growing Businesses Foundation (GBF) insbesondere für das Empowerment von Frauen ein. Warum ist dir gerade dieses Thema so wichtig?

Dr. Ndidi Nnoli-Edozien: Das ist gar keine Frage, beinahe eine Selbstverständlichkeit. Auf dem afrikanischen Kontinent steht die Frau im Zentrum des ökonomischen Wohlseins. Leider ist es aber so, dass viele Frauen nicht an die Ressourcen kommen, die sie benötigen. In dieser Hinsicht sehen wir momentan sehr starke Veränderungen.

Vor 21 Jahren, als ich die Growing Businesses Foundation (GBF) gegründet habe, war es so, dass viele Frauen in Nigeria gemeinsam gespart haben, um kleine Unternehmen aufzubauen. Aber da sie zusätzlich kein Kapital auftreiben konnten, sind die von ihnen gegründeten Unternehmen klein geblieben.

Ich bin sehr dankbar, dass ich durch ein weites Netzwerk an Kontakten verschiedene Banken, Unternehmen und Versicherungsfirmen sowie die Zentralbank von Nigeria mobilisieren konnte. Damals haben wir das erste kommerzielle Kreditinstitut des Landes gegründet, das heute Afrikas größte Mikrofinanzbank mit fünf Millionen Kunden ist.

Wir haben aber nicht nur in Frauen direkt investiert. Ein Beispiel hierfür ist ein heutiger Pastor, der Frauen in seinem Dorf unterstützen wollte. Dazu wollte er mit einer sehr großen Mikrofinanzinstitution zusammenarbeiten, die ihm aber keinen Kredit gewährten. Also haben wir das über die GBF gemacht. Inzwischen hat er Projekte in ganz Nigeria, mit denen er über 500.000 Menschen erreicht.

Vor sieben Jahren hat dann Unilever die GBF angesprochen und angefragt, ob wir sie dabei unterstützen, ihre Produkte in ländlichen Regionen Nigerias zu vermarkten. Dazu ermöglichten wir es dort ansässigen Frauen, eigene Geschäfte aufzubauen und zu führen. Inzwischen arbeiten im Rahmen dieses Projekts 5.000 Frauen, die einen Markt von 450.000 Haushalten abdecken. Diese Frauen erwirtschaften heute fünf Prozent des Umsatzes von Unilever in Nigeria. Sie sind aber nicht nur Verkäuferinnen, sondern auch Botschafterinnen für ein besseres Leben. Während der Corona-Pandemie setzten sich diese Frauen etwa für die Aufklärung der lokalen Bevölkerung ein.

"Mit der GBF versuchen wir, zwischen großen Unternehmen und Mikrounternehmen Brücken zu bauen, um positive Wirkungen zu erzielen, die gleichzeitig auch profitabel sind."

Zudem können sie ihren Kindern den Zugang zu Bildung ermöglichen, der ihnen sonst verwehrt worden wäre. Viele von ihnen besuchen heute sogar Universitäten. Es entsteht also eine soziale und eine ökonomische Wirkung. Und indem Unilever in den ärmsten Anteil der Bevölkerung investiert, kann das Unternehmen mehr Umsatz machen und gleichzeitig einen neuen Markt erschließen. Die investierten Darlehen erhält Unilever vollständig von den Frauen zurück.

Derzeit sind wir dabei, ein Projekt aufzubauen, welches zur lokalen Müllentsorgung– insbesondere von Plastikmüll – beitragen soll. Die daran beteiligten Frauen werden dann für den direkt an den Haushalten abgeholten Müll Token bekommen, mit denen sie wiederum weitere Produkte kaufen können. Dadurch, dass die Frauen in ihrem Sinne wirtschaften, erzielen sie also nicht mehr nur ökonomisch und sozial positive Wirkungen, sondern auch ökologisch. Das ist aber nur möglich, wenn große Unternehmen das Vertrauen haben, mit Organisationen wie der GBF zusammenzuarbeiten. Mit der GBF versuchen wir, Brücken zwischen großen Unternehmen und Mikrounternehmen zu bauen, um positive Wirkungen zu erzielen, die gleichzeitig auch profitabel sind.

 

 

CRIC: Auch mit Rising Tide Africa (RTA) engagierst Du Dich für Frauen. Welche Aktivitäten finden hier statt?

Dr. Ndidi Nnoli-Edozien: Rising Tide Africa ist durch die Erfahrungen mit einem Projekt entstanden, das wir über zehn Jahre mit MTN, einem südafrikanischen Telekommunikationsunternehmen, gestaltet haben. Wir haben damals mit fünf Frauen angefangen, am Ende profitierten über 10.000 von diesem Programm.

Eine der ersten Frauen hat ein Darlehen von 30.000 Naira (~ 63 Euro) bekommen. Mit einem Handy, ein wenig Guthaben, einer Yagi-Antenne und einem Solarpanel wurde sie zum Kommunikations-Hub in ihrem Heimatort, wo das mobile Netz noch nicht ausgebaut war. Sie war das Gemeinschafts-Telefon. Auf dieser Basis hat sie ein Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 145 Millionen Naira (~ 300.000 Euro) und 30 Mitarbeiten aufgebaut.

Aber um wirklich ein dauerhaft erfolgreiches Unternehmen aufzubauen, brauchte sie mehr Kapital – nicht nur Darlehen, sondern auch Eigenkapital. Und es gab leider nur wenige Frauen, die diesen Sprung tatsächlich geschafft haben. Und da kommt RTA ins Spiel.

„Es gibt viele Frauen in Nigeria, die versuchen, ein eigenes Unternehmen aufzubauen, die tolle Ideen, aber keinen Zugang zu Bankkapital haben.“

Die Idee dahinter ist: Es gibt viele Frauen in Nigeria, die versuchen, ein eigenes Unternehmen aufzubauen, die tolle Ideen, aber keinen Zugang zu Bankkapital haben. Das Bankkapital ist einfach zu teuer. Zum Teil betragen sie Zinsen von 20 oder sogar 30 Prozent. So kann man kein Geschäft aufbauen. Unser Ansatz war es, Frauen zusammenbringen, die sich gegenseitig finanzieren, unterstützen und das Selbstbewusstsein geben, ihre Ideen umzusetzen.

Inzwischen hat RTA über 60 Mitglieder und 13 Unternehmen gegründet. Unsere größte Einzelinvestition betrug 370.000 US-Dollar. Wir unterstützen sowohl Unternehmen, die von Frauen geführt werden, als auch Unternehmen, die es sich zum Ziel setzen, eine positive Wirkung für Frauen zu erzielen. In Nigeria ist mehr als 50 Prozent der Population weiblich. Es ist eine Schande, dass gerade für sie kaum Kapital zur Verfügung gestellt wird. Gerade, weil sie so viele Ideen haben und ganz anders mit Risiken umgehen als Männer.

Wenn RTA zeigen konnte, dass man in Frauen investieren kann und damit nicht nur Gutes tut, sondern auch finanziell davon profitieren und gleichzeitig nachhaltig wirtschaften kann, dann war das ein sehr gutes und wichtiges Signal. 

 

CRIC: Du bist außerdem Vorstandsvorsitzende der Circular Economy Innovation Partnership (CEIP). Um was geht es bei diesem Projekt?

Dr. Ndidi Nnoli-Edozien: 2019 habe ich am World Circular Economy Forum teilgenommen. Man hatte mir gesagt, dass Afrika in diesem Jahr ein sehr wichtiges Thema sein würde. Aber als ich dort war, wurde mir bewusst, dass wir als afrikanische Unternehmen keine Stimme hatten. Als Afrikaner waren wir lediglich vor Ort, um zu lernen. Und mir war ganz klar, dass wir sehr viel zu geben und mitzubringen haben.

Bei der Circular Economy Innovation Partnership steht Kreislaufwirtschaft im Mittelpunkt. Bei Dangote habe ich gelernt habe, dass wir unser Denken bezüglich der Nutzung unserer Ressourcen ändern müssen. Es geht darum vom herrschenden linearen Ansatz wegkommen, sonst ist keine Nachhaltigkeit möglich. Als allererstes Projekt hat die CEIP das Projekt Circular Lagos ins Leben gerufen. Circular Lagos ist nach Dangote mein zweites Projekt, in dem die SevenPillars-Methode Anwendung findet. Lagos ist mit 20 Millionen Einwohnern eine der größten Städte Afrikas. Wir haben uns also gedacht, wenn wir es in Lagos nicht schaffen, dann schaffen wir es nirgendwo.

In unseren Planungen und Vorbereitungen der CEIP wurden wir von Finnland unterstützt, danach von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Die GIZ hat mit uns zum Beispiel die Circular Lagos-Webseite gestaltet und derzeit sind wir gemeinsam dabei, einen Innovation Hub zu gründen. Dessen Ziel ist es, Unternehmen im Bereich der Kreislaufwirtschaft in Nigeria ausfindig zu machen, zu unterstützen und bereit für Investitionen zu machen. Dadurch wollen wir aus Start-Ups Scale-Ups machen.

„Kapital kann man nur mobilisieren, wenn die Leute mehr als Profit sehen.“

Erst letzte Woche haben wir zudem mit der Unterstützung der Niederlande die Circular Business Platform ins Leben gerufen. Darüber sollen Unternehmen in Circular Lagos einbezogen werden, die sich an der Seite der lokalen Bevölkerung für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft einsetzen.

Das Wunderbare an der Kreislaufwirtschaft ist, dass dabei alles zusammenläuft: Ein nachhaltiges Modell, dass sowohl der Wirtschaft als auch der Natur und dem sozialen Wesen der Menschen gerecht wird. Ich sehe da riesengroße Möglichkeiten. Aber natürlich macht man auch Fehler.

Wenn ich heute zum Beispiel die GBF neu gründen würde, dann wäre es wahrscheinlich keine Non-Profit-Organisation. Wenn es stattdessen ein soziales Unternehmen wäre, dann hätten wir jetzt statt 5.000 möglicherweise 100.000 Frauen. Und das ist nur möglich, wenn man genug Kapital mobilisieren kann.

Kapital kann man nur mobilisieren, wenn die Leute mehr als Profit sehen. Die 5.000 Frauen machen jetzt fünf Prozent des Umsatzes für Unilever, aber vielleicht ist fünf Prozent noch nicht genug, sondern es braucht 20 Prozent, bevor man feststellt: „Oh, das macht Sinn! Diese Frauen zahlen ihre Kredite zu 100 Prozent zurück. Sie helfen mir, meinen Umsatz zu vermehren.“

Die European Investment Bank beispielsweise hat mich noch nicht angesprochen, um das Projekt und die Frauen mit Investitionen zu unterstützen. In den 21 Jahren ist mir noch niemand begegnet, der an diese Frauen glaubt. Ich denke, das liegt daran, dass wir noch nicht so reif sind in unserem Denken. Wir haben Angst vor dem Risiko, welches wir eigentlich gar nicht genau verstehen.

„Ich möchte, dass wir nicht nur 5.000 Frauen erreichen, sondern 100.000 oder auch eine Million, die in einer Art und Weise wirtschaften, die wirklich sozial, ökonomisch und ökologisch gerecht ist.“

Eine andere Sache ist das Thema Daten. In die SevenPillars-Methode ist ein Nachhaltigkeits-Management-System eingebaut. Da steht also Technologie hinter dieser Methode. Damit können wir Daten erfassen, über drei Ebenen hinweg prüfen und dadurch dann ganz einfach einen Bericht aufbauen. Dieser soll nicht nur zum Erfüllen der Reporting-Standards dienen, sondern vor allem auch der Selbstoptimierung – dass man sehen kann, was man wie besser machen kann.

Und genau das wird der Fall sein mit der CEIP. Gerade sind wir dabei, herauszufinden, welche Indikatoren wir diesbezüglich priorisieren müssen und wie wir es schaffen können, dass durch Circular Lagos und durch die Circular Business Platform eine Gemeinschaft von Interessengruppen entsteht, die sich auf gleiche Indikatoren fokussieren und sich die gleichen Ziele setzen. Ich möchte, dass wir zusammenarbeiten, um Scale-Ups zu bauen, nicht Startups, denn das allein reicht nicht. Ich möchte, dass wir nicht nur 5.000 Frauen erreichen, sondern 100.000 oder auch eine Million, die in einer Art und Weise wirtschaften, die wirklich sozial, ökonomisch und ökologisch gerecht ist.

 

CRIC: Was sind Deine Hoffnungen und Visionen für die Entwicklung in Afrika auch in Bezug auf Europa und was verhoffst Du Dir von der Konferenz?

Dr. Ndidi Nnoli-Edozien: Ein Begriff, der mir dazu direkt einfällt, ist das Ubuntu-Bewusstsein. Es lautet: I am because WE are and, since we are, therefore I am.

Wir sind nicht zwei verschiedene Welten. Wir sind eine Welt. Wir leben auf demselben Planeten. Und es gibt so viel, was Europa von Afrika erfahren und lernen kann. Zum Thema Nachhaltigkeit habe ich manchmal das Gefühl, dass Europa viel mehr von Afrika lernen muss. Und wir müssen einen Punkt erreichen, an dem Kapital nicht immer im Vordergrund steht, sondern wo das Kapital angewendet wird, um unsere gemeinsamen Ziele zu verwirklichen. Und um diesen Punkt zu erreichen, braucht man Dialog. Und das ist das, was mich an CRIC reizt.

Es braucht Mut, um in der jetzigen Welt, in der besonders in diesen Covid-Zeiten so viel Dialog stattfindet, wo wir permanent in Zoom-Meetings sitzen und sprechen, dass man weiterhin sagt: Unser Schwerpunkt ist es, Menschen zusammenzubringen, um einen Dialog zu gestalten und eine Wirkung zu erzielen. Wir wollen einfach unsere Rolle spielen, um Brücken zu bauen. Und diese Brücke muss von beiden Seiten gebaut werden.

„Ich wünsche mir eine bessere Kommunikation und dass wir uns von dem Begriff Entwicklungshilfe trennen.“

Ich wünsche mir eine bessere Kommunikation, dass wir uns von dem Begriff Entwicklungshilfe trennen und uns eher über nachhaltige Wirtschaft, nachhaltiges Investment, Impact Investing, sozial ethisch und ökologisch gerechtes Investing Gedanken machen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass ein solcher Dialog, nicht nur innerhalb von CRIC stattfinden muss, sondern auf jeden Fall auch zwischen Regierungen und Unternehmen.

Wir müssen versuchen, zu einer neuen Denkweise zu gelangen, die unsere bisherigen linearen Annahmen von Wirtschaft durch ein neues Kreislaufkonzept ersetzt. Nigeria ist kein armes Land, aber es gibt natürlich Probleme. Und wenn es in Afrika brennt, dann brennt es in Europa. Wir sitzen im selben Boot. Daher müssen wir einen Weg finden, Investitionen so zu leiten, dass sie eine nachhaltige Wirkung in Afrika erzielen. Wir brauchen keine Entwicklungshilfe, sondern wirkungsvolle Investitionen, bei denen das Wohlergehen des Menschen im Mittelpunkt steht, die es den Menschen vor Ort ermöglichen, einer würdevollen Arbeit nachzugehen. Hier spielt Technologie eine zentrale Rolle, um diese Entwicklung anzustoßen, zu begleiten und zu verwirklichen.

 

CRIC: Vielen Dank für das Interview!

 

Dr. Ndidi Nnoli Edozien ist Vorstandsvorsitzende und Gründerin von Rising Tide Africa, der Circular Economy Innovation Partnership (CEIP), der Growing Businesses Foundation und der Afrikairos GmbH. Nach ihrem Studium an der London School of Economics & Political Science (LSE) hat sie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main promoviert. Am Weltethos-Instituts in Tübingen, wo sie 2004 ihre Arbeit an der SevenPillars-Methode begann, ist sie heute Co-Vorsitzende der Forschungsgruppe Finanzen und Wirtschaft. Im Rahmen ihrer Arbeit fördert sie insbesondere die finanzielle Inklusion von Frauen und jungen Unternehmern in ihrem Heimatland Nigeria.

Das Gespräch führte Robin Walter.

 

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Zum Programm und der Anmeldung zur Konferenz Nachhaltiges Investieren in Afrika

 

In der Rubrik Im Gespräch  sind bereits erschienen:

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