Finanzmärkte brauchen ethisches Fundament

Finanzmärkte brauchen ethisches Fundament.
15. Juli war Stichtag für den Europäischen Banken-Stresstest. Warum Gewinne aus Finanztransaktionen privatisiert und Kosten der Krise sozialisiert werden: Dazu Sozialethiker Klaus Gabriel in "Der Sonntag"

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  • Es scheint, dass es gegenwärtig zwei Arten von Kapital gibt: Eines, mit dem gearbeitet, und ein anderes, mit dem spekuliert wird. Ist das sozialethisch vertretbar?

Klaus Gabriel: Die Entkoppelung des Finanzmarktes von der Realwirtschaft ist tatsächlich ein sozialethisches Problem, zumal die von Ihnen angesprochene Trennung von realwirtschaftlich genutztem und spekulativ eingesetztem Kapital eine der zentralen Ursachen der aktuellen Finanzkrise darstellt.

Vor allem in den letzten 10 bis 15 Jahren beobachten wir ein starkes Wachstum des Finanzmarktes, das aber nicht auf eine gestiegene realwirtschaftliche Nachfrage zurückzuführen ist. Täglich werden zurzeit im Umfang von fast 4.000 Milliarden US-Dollar Devisentransaktionen getätigt, von denen geschätzt wird, dass lediglich 2 Prozent realwirtschaftlich fundiert sind.
Offensichtlich erwarten die Finanzakteure von den Finanzmärkten höhere Renditen als von der Realwirtschaft, was aber streng genommen gar nicht möglich ist und auch immer wieder zu spekulativen Blasenbildungen und zu Finanzkrisen führt.
Die Auswirkungen dieser Finanzkrisen betreffen dann aber – wie wir gerade erleben – die Allgemeinheit.
Und genau darin liegt die sozialethische Brisanz: es werden die Gewinne aus Finanztransaktionen privatisiert und die Kosten der Krise sozialisiert.

  • Wäre dieses Problem durch die Einführung von zwei Banken-Modellen gelöst: Ein Banken-Modell für solide Spar-Einlagen, für die der Staat haftet, und ein Casino-Bankenmodell, für das der Staat nicht haftet? Was sagt die Katholische Soziallehre zu solchen Spekulationen?

Gabriel: Eine solche Trennung ist durchaus sinnvoll und existierte übrigens in groben Zügen in den USA bis 1999. Ein Hauptproblem der aktuellen Finanzkrise besteht ja gerade darin, dass spekulative Finanzmarktaktivitäten auch mit Spareinlagen finanziert wurden, und der Staat eine Pleite der darin involvierten Finanzhäuser verhindern muss, damit nicht die kleinen Sparer davon betroffen sind.

Eine Trennung der beiden Sphären würde dazu beitragen, dass sich jeder Mensch, der Geld anlegt, darüber bewusst wird, dass in einem Modell der Staat für die Spareinlagen haftet, während im anderen Modell zwar vielleicht höhere Renditen möglich sind, aber dafür das gesamte Risiko beim Investor verbleibt.

Damit haftet derjenige, der höhere Erträge lukrieren will und dafür ein Spekulationsrisiko eingeht – und nicht die Allgemeinheit.

Das Wort Spekulation kommt von dem lateinischen „speculare” und meint „in die Zukunft spähen”. Kaufleute und Unternehmen „spekulieren” in gewisser Weise immer mit zukünftigen Entwicklungen – das ist eigentlich der Kern unternehmerischer Tätigkeit und per se nichts Verwerfliches.

Aber beim Eingehen ökonomischer Risiken achtet der kluge und verantwortungsvolle Kaufmann immer darauf, dass diese Risiken begrenzt sind und weder die eigene Existenz und schon gar nicht die Existenz anderer Menschen gefährden. Darauf verweist auch die Katholische Soziallehre eindringlich.

  • Kann/darf es eine Finanzwirtschaft ohne Ethik geben?

Gabriel: Von dem Jesuiten P. Johannes Schasching, dem Doyen der Katholischen Soziallehre, kennen wir den Begriff vom „ethischen Fundament” der Wirtschaft, welches er mit einem dreifachen Imperativ umschreibt: „Wirtschafte sachgerecht, menschengerecht und gesellschaftsgerecht!”

Das gilt auch und vor allem für die Finanzwirtschaft. Diese stellt keinen Selbstzweck dar, sondern ist immer an das Gemeinwohl und das Gelingen menschlichen Lebens rückzubinden.

  • Gibt es einen Zusammenhang zwischen der gegenwärtigen Finanz- und der Demokratiekrise? Was wäre jetzt die Aufgabe der Politik?

Gabriel: Es entsteht der Eindruck, dass die Finanzwirtschaft die Politik in einem nicht unerheblichen Ausmaß steuert. Anders ist es nicht erklärbar, dass immense Summen aufgewendet werden, um die Finanzwirtschaft zu stützen, während überall sonst öffentliche Mittel gekürzt werden – mit massiven sozialen und ökologischen Konsequenzen.

Und tatsächlich haben wir es nicht nur mit einer Finanz-, sondern auch mit einer Gesellschaftskrise zu tun: Es geht um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen und wer darüber bestimmt.

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