Am 12. Mai fand die zweite Ausgabe der CRIC-Reihe Biodiversität und Sustainable Finance statt. Ziel der Veranstaltung war es, einen Überblick zu politisch-regulatorischen Entwicklungen zu geben.
Warum ist der Verlust der Artenvielfalt ein Thema im Zusammenhang mit Sustainable Finance? Die Gründe dafür liegen auf der Hand.
Zum einen ganz kurzgefasst: Anders als beim Klimawandel nicht darum, WIE und ggf. WO wir in Zukunft leben oder überleben können, sondern darum, OB wir überhaupt überleben.
Mit der Biodiversität steht und fällt alles. Denn: Wenn das Artensterben weiter voranschreitet – beispielsweise hat der Mensch die Zahl der Wirbeltiere seit 1970 bereits um 60 Prozent reduziert – werden auch die für das Leben und Überleben wichtigen Ökosystemleistungen nicht mehr erbracht werden können. Und ohne diese kein Leben und daher auch keine Wirtschaft und ohne Wirtschaft keine Investitionen.
Was sind Ökosystemleistungen eigentlich?
- Sie haben eine regulierende Funktion – beispielsweise sorgen sie für Luftqualität oder die Wasserbereinigung.
- Sie haben eine versorgende Funktion – indem Sie unter anderem Nahrungsmittel und Arzneimittel liefern.
- Sie spielen eine Rolle im Hinblick auf kulturelle Aspekte, wie ästhetische Werte. Und sie sind wichtig für die geistige und körperliche Gesundheit von Menschen.
- Ökosystemleistungen sichern außerdem buchstäblich unsere Lebensbasis, über Nährstoffkreisläufe, Bodenbildung und die Photosynthese.
Weil also die von der Biodiversität abhängenden Ökosystemleistungen Grundlage des Lebens sind, wird die Politik zunehmend mit Maßnahmen zum Biodiversitätsschutz aktiv – auch im Bereich Sustainable Finance. Und darum ging es in der Veranstaltung Politik im Fokus #6 – Überblick zur Regulierung rund um Sustainable Finance und Biodiversität.
Biodiversität und naturbedingte Risiken
Zunächst gab Lana Ollier (ECOFACT), Regulierungsexpertin im Bereich Klima und Biodiversitätsschutz, einen Überblick zur Regulierung von Sustainable Finance und Biodiversität. Natürliche Ressourcen und Biodiversität stellen sich als hochkomplex und geographisch sehr spezifisch dar. So sind die Biome, dies in einem bestimmten geographischen Gebiet vorherrschende Ökosysteme, sehr divers und folglich auch die Ökosystemgüter (Assets) und die Services sehr verschieden.
Als komplexes Thema ist es relevant für unsere Wirtschaft. Nach Schätzungen hängt mindestens die Hälfte des Bruttoinlandproduktes von der Natur und ihren Leistungen ab. Auch ist das Thema Biodiversität direkt mit dem Klimawandel verbunden. Ökosysteme speichern zum Beispiel sehr viel CO2, das bei deren Zerstörung freigesetzt wird.
Politische Entwicklungen im Bereich Sustainable Finance und Biodiversität
Der Blick auf die politische Ebene zeigt, dass Regulatoren weltweit Artenvielfalt als relevantes Thema erkannt haben. Es gibt eine rapide Zunahme an Initiativen. Ein Grund für das steigende Interesse ist die Biodiversitätskonvention. Aktuell wird über das Post-2020 Global Biodiversity Framework verhandelt, das von Staaten fordert, mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresgebiete bis 2030 zu erhalten (30 bei 30-Ziele). Die Verhandlungen werden erschwert durch unterschiedliche Forderungen aus dem Globalen Süden und dem Globalen Norden. Ein wichtiger nächster Termin ist hierfür im Juni in Nairobi angesetzt, wo es um die Aichi-Ziele gehen soll.
Internationale Initiativen
Mit Blick auf den internationale Rechtsrahmen stellte Lana Ollier sechs Initiativen beispielhaft vor, die aktuell aktiv an dem Thema arbeiten: NGFS (Network for Greening the Financial System), Science Based Targets Network (arbeitet auch zu Naturzielen), Finance for Biodiversity Initiative, Finance for Biodiversity Pledge, Partnership for Biodiversity Accounting Financials (PBAF), Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD). Besonders ging sie auf die TNFD-Empfehlungen ein, die als Pendant zur Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD) zu verstehen sind. Die im Rahmen der in Ausarbeitung befindlichen TNFD-Offenlegungen relevanten Bereiche werden auch hier Governance, Strategieentwicklung, Risiko-Management und Zielvorhaben umfassen. Auch das NGFS formuliert Empfehlungen, wobei es mit Blick auf Zentralbanken und Aufsichtsbehörden fünf Bereich adressiert:
- Strategieentwicklung,
- Kapazitätsaufbau,
- Risikobewertung,
- Verschärfte Aufsicht,
- Mobilisierung von Investitionen.
Nationaler und EU-Rechtsrahmen
Auch im EU-Rechtsrahmen gewinnt Biodiversität zunehmend an Bedeutung. Als wichtige Initiativen stellte Lana Ollier die EU-Biodiversitätsstrategie, ESRS E4 Biodiversity and ecosystems, CSRD, EU SFDR, und die EU-Taxonomie vor. Besonders letztere ist. Die Taxonomie ist ein Kategorisierungssystem, das Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen, Vermeidung von Verschmutzung, Klimawandelanpassung, Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft und Schutz von Ökosystemen und Biodiversität zum Ziel hat. Die Taxonomie-Verordnung muss im Rahmen weiterer Rechtsakte betrachtet werden. Relevant sind v.a. der Delegierte Rechtsakt zur Offenlegung unter Artikel 8 (2021/2178) und der Delegierte Rechtsakt Klima 2020/852 sowie die Platform on Sustainable Finance.
Anschließend stellte Lana Ollier Frankreich als führendes Land in der Regulierung vor. Dort müssen Finanzinstitute basierend auf dem Gesetz Nr. 2019-1147 eine Strategie für die Anpassung an langfristige Ziele im Bereich Biodiversitätsschutz mit verschiedenen Informationen vorlegen.
Mit ersten konkreten Maßnahmen ist auf EU-Ebene erst in der Zukunft zu rechnen. Bezüglich der CSRD ist im vierten Quartal 2022 die Deadline für die Annahme Minimuminformationen spezifizierender delegierter Rechtsakte zu nennen. Parallel dazu könnte im selben Quartal die CSRD angenommen werden. Ab Quartal 1 2023 steht die Offenlegung von KPIs basierend auf allen Umweltzielen der Taxonomie für Nicht-Finanzunternehmen an. Diese Offenlegung gilt am dem ersten Quartal 2024 auch für Finanzunternehmen.
Perspektiven aus der Praxis
Anschließend an diesen Überblick gab Bruno Bischoff (Risikoexperte bei ECOFACT), Einblicke in seine jahrelange Erfahrung aus der Praxis.
In einem Programm von ECOFACT werden internationale Großbanken in Hinblick auf ihre Richtlinien begleitet. Viele dieser Großbanken haben zum Ziel, die Auswirkungen möglicher Finanzierungen und Geschäfte mit Kunden auf die biologische Vielfalt zu prüfen. Dabei wird etwa darauf geschaut, ob das Projekt in der Nähe von oder innerhalb von kritischen Lebensräumen liegt. Es wird auch erwartet, dass die Kunden über die Risiken für die biologische Vielfalt Bescheid wissen und die nationalen Gesetze sowie gegebenenfalls Aktionspläne einhalten. Besonders schauen Banken dabei auch auf geschützte Gebiete (UNESCO-Welterbestätten oder Ramsar-Feuchtgebiete), die einer verstärkten Sorgfaltspflicht unterworfen werden.
Bruno Bischoff stellte abschließend zwei praktische Hilfsmittel vor: Das ENCORE (Exploring Natural Capital Opportunities, Risks, and Exposures) Tool hilft Finanzinstituten, die Auswirkungen von Umweltveränderungen auf die Wirtschaft zu verstehen und zu visualisieren. Es zeigt auf, wie Unternehmen in den diversen Wirtschaftszweigen von der Natur abhängen und diese beeinträchtigen können und wie dies ein Geschäftsrisiko darstellen könnte. Das Tool ist, wie auch der LEAP-Ansatz, frei verfügbar. Dieses Werkzeug wurden von der TNFD vorgestellt. Die vier empfohlenen Schritte des LEAP-Ansatzes sind Lokalisieren, Evaluieren, Auswerten und Bereitstellen, zu welchen jeweils eine Schritt-für-Schritt-Anleitung verfügbar ist.
Fazit
In einem Fazit betonte Lana Ollier nochmals, dass Biodiversität als Thema für die Regulatorik und Sustainable Finance auf dem Vormarsch ist und es mittlerweile auch konkrete Inputs und Tools dazu gibt und kontinuierlich Wissen generiert wird. Es sollte also schon früh Kapazitätsaufbau betrieben werden. Im Rahmen des TNFD/TCFD lassen sich Biodiversitäts- und Klimawandelrisiken integriert managen und offenlegen. Für eine frühzeitige Beschäftigung mit der Bedeutung von Biodiversitätsrisiken, bietet der LEAP-Ansatz eine erste Anleitung. Es sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass die Offenlegung von Biodiversitätsrisiken höchstwahrscheinlich verpflichtend wird.
Abschließend konnten Fragen der Teilnehmenden beantwortet werden. Diese betrafen zum Beispiel Reputationsrisken, internationale Offenlegungspflichten und Immobilien. Ergebnis einer finalen Kurzumfrage mit dem Publikum war, dass die große Mehrheit nun besser über Politisch-Regulatorisches zum Biodiversitätsschutz im Finanzbereich informiert ist und die Entwicklungen besser einordnen kann. Viele beabsichtigen künftig auch die Umsetzung von Maßnahmen.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Gesa Vögele.
- Die Präsentation zum Download.
Mitschnitt und weitere Veranstaltungen
Die Veranstaltung ist aufgezeichnet worden. Wir bitten darum, bei Interesse daran eine E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! zu senden. Wir schicken Ihnen den Link dann gerne zu.
Überblick zur Reihe Biodiversität & Sustainable Finance:
- 25. April 2022, 11 bis 12.30 Uhr: Im Gespräch – der Mensch und die Vielfalt des Lebens aus Sicht von Theologie und Biologie mit Prof. Ursula Nothelle-Wildfeuer (Universität Freiburg) und Prof. Pierre L Ibisch (Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde) – zum Rückblick
- 12. Mai 2022, 14 Uhr bis 15.30 Uhr: Politik im Fokus #6 – ein Überblick zur Regulierung rund um Sustainable Finance und Biodiversität mit Lana Ollier und Bruno Bischoff (beide ECOFACT) – zur Präsentation
- 20. Mai 2022, 11 bis 13 Uhr: Praxisperspektiven #1 – Messen und Steuern: von Klima- zu Biodiversitätsrisiken mit Björn Holste (Liminalytics), GLS Bank (Jan Köpper) und Janine von Wolfersdorff (The New Institute) – zu den Präsentationen
- 10. Juni 2022, 11 bis 12.30 Uhr: Engagement-Dialoge #3 – Investoren und Zivilgesellschaft gemeinsam gegen Entwaldung mit Tommy Piemonte (Bank für Kirche und Caritas), Matthias Narr (Ethos) und Linda Poppe (Survival International) – zur Ameldung
Weitere Informationen zu CRIC-Veranstaltungen gibt es hier.
Über die CRIC-Reihe Politik im Fokus: Fragestellungen rund um das ethisch-nachhaltige Investment und eine nachhaltige Finanzwirtschaft stehen in politischen Debatten auf nationaler wie auf internationaler Ebene hoch im Kurs. Spätestens seit die EU im März 2018 ihren Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums veröffentlichte, reiht sich eine regulatorisch-politische Initiative an die andere. CRIC begleitet diese Entwicklungen – etwa mit Kommentierungen und Stellungnahmen – und seit Juli 2020 zudem mit der Online-Reihe Politik im Fokus. Im Rahmen dieses Formats kommen Fachleute zu Wort, die informieren, einordnen helfen und neue Perspektiven einbringen.