Rückblick: Praxisperspektiven #1: Messen und Steuern – von Klima- zu Biodiversitätsrisiken

Am 20. Mai 2022 fand die dritte Veranstaltung der CRIC-Reihe Biodiversität und Sustainable Finance statt. Im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe befasst sich CRIC – angesichts der geringen Aufmerksamkeit im öffentlichen Diskurs für das Thema Artenvielfalt trotz seiner Dringlichkeit – aus verschiedenen Blickwinkeln mit Fragestellungen rund um Biodiversität und Sustainable Finance. Den Auftakt machte ein Dialog zwischen den Fachdisziplinen Biologie und Theologie (zum Rückblick). Beim zweiten Event standen mit der Regulatorik rechtliche und politische Aspekte im Fokus (zum Rückblick). Dieses Mal widmete sich CRIC dem Thema Risiko-Management aus einer sehr praxisorientierten Perspektive.

Eine neue Ära der Nachhaltigkeitsberichterstattung

Zunächst gab Dr. Janine von Wolfersdorff (Steuerberaterin, Fellow bei The New Institute) einen einführenden Vortrag in die Thematik. Dabei sprach sie von einer „neuen Ära der Nachhaltigkeits-Berichterstattung“, da derzeit vermehrt auch Enterprise Value Reporting in den Fokus gerückt werde und damit auch die Outside-in-Perspektive an Bedeutung gewinne. So würde beispielsweise untersucht, welchen (physischen, transitorischen) Klimarisiken Unternehmen ausgesetzt sind. Viele Instrumentarien bestünden bereits, die den Stand von Unternehmen in der Transformation erkenntlich machen.

Dass diese jedoch nicht hinreichend genutzt und geprüft würden, werde gut ersichtlich in der Jahresabschlussprüfung. Bislang würden Unternehmen die Annahmen hinter den Jahresabschlüssen nicht veröffentlichen, weshalb sie im derzeitigen Strukturwandel zunehmend schwieriger zu vergleichen seien. Weitere Probleme bestünden in der Rechnungslegung im Strukturwandel sowie in Lageberichten, bei denen ebenfalls häufig Informationen zu Nachhaltigkeitsrisiken fehlen.

Von einem Paris-Sensitive-Accounting zu einem Paris-Aligned-Accounting

Nach dieser Skizzierung des Accounting wie es ist, schlug Dr. Janine von Wolfersdorff die Überlegung eines As-If-Accountings vor. Dies bedeute den Übergang von einem Paris-Sensitive-Accounting (Rechnungslegung, die Pariser Klimaabkommen ernst nimmt und ein rechtlich-bindendes Accounting darstellt) zu einem Paris-Aligned-Accounting. Hierzu würde derzeit mit Szenarien getestet, wie sich die einzelnen Sektoren Paris-konform wandeln müssten und wie die Jahresabschlüsse aussähen unter Paris-konformen Bedingungen. Auch hier bestehe ein Risiko für Unternehmen, die sich nicht transformieren, Finanzierungen zu erhalten. Die Daten eines solchen Paris-Aligned-Accountings seien darüber hinaus unabdingbar für Klima-Stresstests von (Zentral-)Banken.

Liminalytics: Nachhaltigkeitsrisiken ganzheitlich integrieren

Dr. Björn Holste (Mitbegründer und geschäftsführender Gesellschafter von Liminalytics) berichtete anschließend über das Start-Up Liminalytics, welches vor gut eineinhalb Jahren gemeinsam mit der GLS Bank gegründet wurde und sich auf die Analyse von Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken spezialisiert hat. Der Name leitet sich ab von den Worten Liminalität, was auf den auf den Übergang zwischen Grenzschichten verweist (in diesem Fall spezifisch auf den Übergang von einer Kohlenstoffwirtschaft zu einer kohlenstofffreien Wirtschaft) und Analyse (Ziel ist Nachhaltigkeitsrisiken breit zu analysieren).

In einer Keynote verwies Dr. Friederike Otto (Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment) darauf, dass Klimarisiken nur einen kleinen Teil ausmachen, während Transitionsrisiken eine größere Rolle zukäme. Auch betonte sie die Notwendigkeit des Zusammenarbeitens, um Instrumente für das Reporting zu entwickeln, da die derzeit fehlenden Daten dies schwierig gestalten.  

Daran knüpfte Dr. Björn Holste an und argumentierte mit dem hohen Verschuldungsgrad Deutschlands im EU-Vergleich. Die schnellere Transmission von Risiken mache ein überdurchschnittliches Risikomanagement notwendig. Auch die regulatorischen Trends würden anzeigen, dass Klimarisiken sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene verstärkt im Fokus stehen. Ein Blick auf die USA zeige, welche Entwicklung auch für Europa möglich sei. Klima-Reporting kostet ein durchschnittliches gelistetes Unternehmen in den USA ca. 533.000 US-Dollar, während die durchschnittlichen jährlichen Kosten für einen institutionellen Anleger für die Integration der Klimadaten für Anlageentscheidungen 1.372.000Dollar betragen. Das decke sich mit den Daten aus dem letzten TCFD Report, in dem sich zeigt, dass nur ca. 40 Prozent über die Block 4 Daten (Metrics) berichten. Regulatoren stellen breite Anforderungen, da umfangreiches Reporting von Klimarisiken erforderlich ist, was sich jedoch als schwierig erweist, wo Daten fehlen. Doch auch mit wenig Daten können quantitativ starke Aussagen getroffen werden.

Liminalytics & GLS Bank

Jan Köpper (Leiter der Stabstelle Wirkung, Transparenz und Nachhaltigkeit bei der GLS-Bank) gab Einblicke in das Vorgehen der GLS Bank, das auf einem Ansatz mit vier Schritten beruht, um zukunftsgerichtete Annahmen zu integrieren. Dabei werden auf mindestens drei Ebenen (Best-Case, Worst-Case, Probable-Case)

  1. Szenarien modelliert,
  2. Risikotreiber identifiziert,
  3. die spezifische Betroffenheit ermittelt und
  4. auf die Gesamtbanksteuerung übertragen.

Um zu verstehen, wie sich ein Zukunftsszenario auf einzelne Risikotreiber übersetzt und dann tatsächlich eine Betroffenheit bei den Unternehmen auslöst, seien die Wirkketten relevant. Die Nachhaltigkeitsbewertung erfolgt durch:

  1. Identifikation relevanter Nachhaltigkeitsthemen,
  2. Einschätzung zur Materialität auf Branchenebene,
  3. Einfluss des Unternehmens auf die Umwelt,
  4. Abhängigkeit des Unternehmens von der Umwelt,
  5. Anpassungsfähigkeit,
  6. Individuelle Nachhaltigkeitsbewertung je Kunde und Nachhaltigkeitsthema.

Hierfür hat die GLS Bank mit Liminalytics modulare Bausteine für eine maßgeschneiderte Risikobewertung nach wissenschaftlichen Standards erstellt. Aus den einzelnen Bausteinen Transitionsrisiko, physisches Risiko, Supply Chain Resilience und Szenarien des Network for Greening the Financial System (NGFS) können dann beispielsweise die Basis für Klimastresstests der Europäischen Zentralbank entstehen.

Mit Blick auf die praktische Berechnung führte Jan Köpper das Beispiel eines Portfolios auf Branchenebene an und erläuterte die quantitative und qualitative Analyse von Transitionsrisiken. Auf qualitativer Ebene seien Experteneinschätzungen zu transitorischen Klimarisiken in Branchen entscheidend, woraus eine Portfoliorisikoverteilung nach von TCFD identifizierten Risikokategorien resultiere. Bei der quantitativen Analyse ist der Branchen-Treibhausgas-Fußabdruck nach Scope 1, 2 und 3 relevant. Hierbei gehe es um finanzierte Treibhausgasemissionen im Portfolio. Aufgrund der Wirkketten sei dies im Hinblick auf Biodiversität noch komplizierter.

Accounting & Biodiversität

Im zweiten Teil stellte Dr. Janine von Wolfersdorff die Frage voran, was wir von Erfahrungen mit der Einpreisung von Klimarisiken in Bankensysteme, Rechnungslegung, Jahresabschlüsse etc. lernen können. Dabei sei grundlegend, dass Banken (Klima- und Biodiversitäts-)Risiken nur richtig begreifen und in Risikomanagementsysteme einpreisen können, wenn sie Rechnungslegung im Kontext des Strukturwandels verstehen. Es muss also Wissen darüber vorhanden sein, was etwa mit Jahresabschlüssen passiert, wenn sich Lieferketten ändern.

Ein weiteres Learning aus dem Umgang mit Klimarisiken wäre: bewerten heißt vergleichen. Es fehle noch eine intensive Auseinandersetzung darüber, wie über das gesprochen wird, worüber berichtet werden muss. Es bestünden zwei Wege Nachhaltigkeitswirkung zu messen: Zum einen die Möglichkeit der Externalitätenmessung. Parallel dazu gibt es den Weg, äußere Merkmale wirtschaftlicher Aktivitäten, die sich zertifizieren lassen, zu untersuchen. Hierfür seien Benchmarks und Sektoren zum Vergleichen notwendig – mit Blick auf das Klima gibt es z.B. das Pariser Klimaabkommen, aber um Biodiversität in Jahresabschlüsse zu integrieren werde es unabdingbar sein, Biodiversitätsziele in Sektoren herunterzubrechen.

Transformation jetzt!

Jan Köpper stellte anschließend eine konzeptionelle Vorgehensweise dazu vor, wie mit Biodiversitätsrisiken umgegangen werden kann. Das Narrativ der Nachhaltigkeit habe sich zu einem neuen Normal entwickelt, was mit Blick auf die Idee der großen Beschleunigung, also dem seit den 1950er Jahren exponentiellen Wachstum, zeige, dass es kein Erkenntnisproblem, sondern viel mehr eine Ambitions- und Umsetzungskrise gibt.

Nachhaltigkeit könne als zentrales Element der Stabilisierung für das System der Zukunft ausgemacht werden. Die GLS-Bank versteht Nachhaltigkeit im zweifachen Sinne; zum einen als Dauerhaftigkeit, zum anderen als Regeneration. Mit Blick auf die Dauerhaftigkeit erläuterte er, dass die Stabilisierung des Gesamtsystems nicht zu erreichen sei, wenn die planetaren Leitplanken und sozialen Fundamente nicht ausreichend beachtet werden.

So sei der Gedanke der Bank der Zukunft interessant, bei der Geldvermögen in Naturvermögen umgewandelt würde. Dafür müssten Wirkketten nachvollzogen werden, weshalb die GLS Bank in verschiedenen Wertekategorien misst. Demnach kann sich Wirkung eines Instituts als dessen Steuerungsgröße auf verschiedene Werte übersetzen. Dies werfe die Fragen auf, auf welche Werte wir einzahlen und was der größte Wert eines Unternehmens für die Gesellschaft ist.

Im Hinblick auf Biodiversität hat sich die GLS Bank zum Ziel gesetzt, die Biodiversität und die Produktivität der Biosphäre zu schützen sowie den Schutz vor Krankheitserregern zu fördern. Folglich werde zunächst untersucht, welche Wertekategorien diese beeinflussen und wie zur Wertschaffung bzw. -minderung eingezahlt werden könne. Bereits jetzt sei das Modellieren von Szenarien möglich, woran das oben dargestellte vierstufige Verfahren anknüpft. Es könne eine Abfrage der Betroffenheit und das Ausmachen der Risikotreiber, aber auch der Chancentreiber durchgeführt werden, was eine zukunftsorientierte Betrachtung ermögliche.

Moderiert wurde die Veranstaltung von Gesa Vögele.

Weitere Informationen

Mitschnitt und weitere Veranstaltungen

Die Veranstaltung ist aufgezeichnet worden. Wir bitten darum, bei Interesse daran eine E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! zu senden. Wir schicken Ihnen den Link dann gerne zu.

Überblick zur Reihe Biodiversität & Sustainable Finance:

  • 25. April 2022, 11 bis 12.30 Uhr: Im Gespräch – der Mensch und die Vielfalt des Lebens aus Sicht von Theologie und Biologie mit Prof. Ursula Nothelle-Wildfeuer (Universität Freiburg) und Prof. Pierre L Ibisch (Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde) – zum Rückblick
  • 12. Mai 2022, 14 Uhr bis 15.30 Uhr: Politik im Fokus #6 – ein Überblick zur Regulierung rund um Sustainable Finance und Biodiversität mit Lana Ollier und Bruno Bischoff (beide ECOFACT) – zum Rückblick
  • 20. Mai 2022, 11 bis 13 Uhr: Praxisperspektiven #1 – Messen und Steuern: von Klima- zu Biodiversitätsrisiken mit Björn Holste (Liminalytics), GLS Bank (Jan Köpper) und Janine von Wolfersdorff (The New Institute)
  • 10. Juni 2022, 11 bis 12.30 Uhr: Engagement-Dialoge #3 – Investoren und Zivilgesellschaft gemeinsam gegen Entwaldung mit Tommy Piemonte (Bank für Kirche und Caritas), Matthias Narr (Ethos) und Sakina Johow (Survival International) – zur Ameldung

Weitere Informationen zu CRIC-Veranstaltungen gibt es hier.

Über die CRIC-Reihe Praxisperspektiven:In den Debatten um Nachhaltigkeit ist häufig zuhören: „Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem.“ Bei genau dieser Maßgabe setzen die Praxisperspektiven an. In ihnen wird gezeigt, wie hohe Ansprüche und Vorgaben Schritt für Schritt in die Praxis umgesetzt werden können. Bei dieser Reihe schöpft CRIC in ganz besonderem Maße aus dem Erfahrungsschatz seiner Mitglieder. 

© 2023 CRIC e.V. Verein zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit bei der Geldanlage. All Rights Reserved.
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.